Von der Steigerung der Dosis, hin zur Psychopharmakaabstinenz – Wege, Umwege und deren Begleitung

Andreas Liebke, Vorstandsmitglied der Berliner Organisation Psychiatrie-Erfahrener und Psychiatrie-Betroffener (BOP&P) e.V.

Angehörigen – Akademie 2018, „Psychopharmaka bei der Genesung von Psychosen“ Referat zum Workshop 3: Von der Steigerung der Dosis, hin zur Psychopharmakaabstinenz – Wege, Umwege und deren Begleitung

1.) Beginn:

Erste und einzige akute Krise mit Klinikaufenthalt

  • Februar 2000 – April 2000 Aufenthalt im Krankenhaus mit der Diagnose „paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis“.
  • Entlassung mit 3mg Risperdal täglich (morgens, mittags, abdends jeweils 1 mg)

Was hat mir an der Pharmakotherapie geholfen?

Während des Klinikaufenthaltes bekam ich hochdosiert Diazepam und Haldol. Beide Medikamente wirken stark beruhigend, sodass ich sehr viel schlief. Schlafmangel war ein ausschlaggebender Grund dafür, weshalb die Symptome sehr schnell und sehr ausgeprägt zum tragen kamen. Der viele Schlaf, aber auch ein Gespräch mit meinen Eltern gleich am Anfang meines Aufenthaltes brachten schnell wieder Klarheit und Ruhe in meine Gedanken. Nach meinem Klinikaufenthalt bekam ich Haldol als Bedarfsmedikation. Im Falle von Gedankenkreisen und nicht schlafen könnens, habe ich mein Bedarfsmedikament eingenommen und der Kopf war dadurch frei von Gedankenkreisen und ich konnte schlafen.

Welche Einstellung hatte ich zu meiner Erkrankung? / Welche Haltung hatte ich zur Behandlung?

Meine Erkrankung/Diagnose habe ich für mich angenommen. Zumal ich mich während des Aufnahmegesprächs in der Klinik selbst diagnostizierte. Ich hastte im Gespräch der Ärztin meine Situation geschildert und im nach-hinein erwähnt, dass mir meine Situation vorkommt, als wäre ich in einem „schlechten Krimi“ und hätte mit Verfolgungswahn zu tun. Somit war mir durch dieses Gespräch bewusst, okay mit mir stimmt was nicht. Dadurch war es für mich auch recht einfach die Pharmakotherapie zu akzeptieren. Auch die danach in der Reha-Klinik gestellte Diagnose der post schizophrenen Depression. Darüber hatte ich gelesen und konnte dies für mich ebenfalls akzeptieren.

2.) Phase der Dosissteigerung:

  • 1 ½ Jahre später (Herbst 2001) Steigerung der Dosis auf 4 mg (Splittung 2×2 mg morgens und abends)
  • weitere 2 ½ Jahre später (Frühjahr 2004) Steigerung auf 5 mg (Splittung 2mg morgens, 3 mg abends)
  • weitere 1 ½ Jahre später (Herbst 2005) Steigerung auf 6 mg (2×3 mg morgens und abends)
  • Frühjahr 2007 Umstieg auf 50 mg Risperdal Consta Depot 14 tägig

Gründe, oder was war ausschlaggebend für die anfängliche Erhöhung der Dosierung:

  • Dosis Steigerung im Herbst 2001 – Die Anschläge im Herbst 2001 in New York und die darauffolgenden Briefbombenanschläge und Giftbriefsendungen. Ich selber hatte zu diesem Zeitpunkt selbst viele Briefe zu versenden und fühlte mich beobachtet und hatte entsprechend negative Gedanken.
  • Dosissteigerung Frühjahr 2004 – Eine ca. 7 tägige Pause mit der Einnahme im Urlaub um meinen Körper etwas zu entgiften.
  • Dosissteigerung im Herbst 2005 – Eine erneute ca. 7 tägige Pause mit der Einnahme der Medikamente im Urlaub um zu entgiften.
  • Umstieg im Frühjahr 2007 auf das Depot – Ich bin im Sommer 2006 umgestiegen vom einen Pkw auf die öffentlichen Verkehrsmittel und hatte nach den Sommerferien massive Probleme mit so vielen Menschen in der Öffentlichkeit klar zu kommen. Negative Gedanken wurden in mir laut. So zum Beispiel Gedankeneingebungen der anderen Fahrgäste. Dies war unter anderem auch ein ausschlaggebender Grund für den Beginn meiner kognitiven Verhaltenstherapie im Frühjahr 2007.

3.) Phase der Dosisreduzierung:

  • Januar/Februar 2007 Beginn meiner Weiterbildung zum Webmaster per Fernschule
  • Frühjahr 2007 Beginn der kognitiven Verhaltenstherapie
  • Frühjahr 2007 Erstkontakt zu BOP&P e.V.
  • Frühjahr 2008 Ernährungsumstellung und Gewichtreduktion (von 106 Kg)
  • Frühjahr 2009 Reduzierung der Depot-Dosis auf 37,5 mg 14 tägig
  • Frühjahr 2010 Beginn einer partnerschaftlichen Beziehung
  • Frühjahr 2011 Reduzierung der Depot-Dosis auf 25 mg 14 tägig
  • Frühjahr 2012 Geburt meines Sohnes
  • Frühjahr 2013 Reduzierung der Depot-Dosis auf 25 mg 21 tägig
  • Frühjahr 2015 Umstieg auf 1 mg Risperdal Tabletten (morgens und abends je 0,5 mg)
  • Herbst 2015 Ausschleichen 0,5 mg Risperdal morgens (Schrittweises weglassen)
  • Frühjahr 2016 Ausschleichen der letzten 0,5 mg Risperdal abends (Schrittweises weglassen)

Gründe für die Reduzierung oder was war ausschlaggebend für die Reduktion der Psychopharmaka

Angestoßen hatte damals die Reduzierung der Dosis meine Ärztin. Die erste Reduzierung fand im Frühjahr 2009 statt, weil ich seit dem Umstieg auf das Depot eine positive und stabile Entwicklung hatte. Zu dem war ich noch ein recht junger Mann, der seine Familienplanung noch nicht abgeschlossen hatte. Die Psychopharmaka jedoch hatten mich meiner „Manneskraft“ beraubt. Dies war ebenso ein sehr wichtiger Grund für mich, die Dosis zu reduzieren, wenn möglich komplett davon los zu kommen.

Meine Einstellung gegenüber Psychopharmaka / Meine Haltung gegenüber der Behandlung:

Nach wie vor ging ich davon aus meine Medikamente zu benötigen, aufgrund der Erfahrungen aus der Zeit, in der die Dosis regelmäßig erhöht werden musste. Meine Ärztin ermutigte mich darin, den Schritt zur Reduzierung zu wagen, da ich mich positiv und stabil entwickelte. Ich kann mich noch an eine Äußerung meiner Ärztin aus dem Jahr 2007 erinnern, worin sie eher von einem negativen Verlauf meiner Erkrankung sprach. Zum Zeitpunkt der Reduzierung jedoch von einem positiven. Dies bewegte mich dann dazu, der Reduzierung zuzustimmen. Es gab nur eine Ausnahme im Jahr 2013. Da schlug mir meiner Ärztin vor wieder zurück auf die Tabletten mit jeweils 1 mg Risperdal täglich umzusteigen, da meine Entwicklung nach wie vor positiv und stabil verlief. Darauf ließ ich mich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht ein, aufgrund meiner Bedenken der Zeit, als ich schon einmal die Tabletten einnahm und die Dosis gesteigert werden musste. Meine Ärztin und ich, wir einigten uns dann darauf die Verabreichung des Depots auf eine dreiwöchige Verabreichung zu strecken. Darauf hatte ich mich dann eingelassen. Erst 2015 hatte ich dann von mir aus den Wunsch zum Umstieg auf die 1 mg Risperdal täglich geäußert und meine Ärztin stimmte dem zu. Das ausschleichen der 2 mal 0,5 mg Risperdal erfolgte dann aufgrund eines Gespräches mit meiner Ärztin, dass diese geringe Dosis eher einen homöopathischen Charakter hätten. Ich fing dann an schrittweise die 0,5 mg morgens auszuschleichen, später dann die abendlichen 0,5 mg. Mit meiner Ärztin hatte ich währenddessen darüber gesprochen, auch das ich innerliche Anspannungen verspürte. Ich erzählte ihr dann auch, dass ich dies mit der Einnahme von Baldrian kompensiere. Ich hatte ihr auch schon zu früherer Zeit gegenüber erwähnt, dass ich lieber auf die Einnahme von Baldrian zurückgreife, anstatt das Bedarfsmedikament Haldol einzunehmen. Es also lieber mit natürlichen Mitteln versuche in den Griff zu bekommen, anstatt mit der chemischen Keule. Dem stimmte meine Ärztin zu.

  • Erste Reduzierung der Dosis im Frühjahr 2009 – Meine kognitive Verhaltenstherapie hatte ca. 1 Jahr vorher erste positive Wirkungen gezeigt. Der „Schalter im Kopf“ hatte sich umgelegt. Ich fing an mit Spaziergängen in den Parks in meiner Wohngegend. Habe mich regelmäßig in Cafés gesetzt um dort etwas zu verweilen. (Zum Beispiel im Zeitraum nach meiner Verhaltenstherapie und vor Beginn meiner Tätigkeit im Minijob).
  • Die Teilnahme an der Selbsthilfegruppe bei BOP&P e.V. wirke sich postitiv auf meine Befindlichkeit aus, da ich zunehmend stabiler wurde und daher auch in der Lage war anderen GruppenteilnehmerInnen unterstützend helfen konnte. Dadurch wurde bei mir mein Selbstbewusstsein, aber auch mein Selbstwertgefühl gesteigert.
  • Meine Ernährungsumstellung zeigt Wirkung in Form von Gewichtsreduktion und damit verbunden eine zufriedenere Wahrnehmung meines Körpers, wodurch sich auch mein Selbstbewusstsein verbesserte, aber auch mein Selbstwertgefühl.
  • Ich bemerkte eine positivere Ausstrahlung nach außen auf mir unbekannte Personen, die mir im öffentlichen Leben begegneten. Daraus resultierte wahrscheinlich auch der Beginn meiner partnerschaftlichen Beziehung im Frühjahr 2010 zur Mutter meines Sohnes.
  • Reduzierung im Frühjahr 2011 auf 25 mg Depot 14 tägig Weiterhin stabil
  • Reduzierung im Frühjahr 2013 auf 25 mg Depot 21 tägig Weiterhin stabil, meine Ärztin wollte mich damals schon auf Risperdal Tabletten umstellen- Ich hatte den Vorschlag abgelehnt, aufgrund der früheren Steigerung der Dosis.
  • Umstieg dann doch auf Risperdal Tabletten im Frühjahr 2015 mit 1 mg täglich (2x 0,5 mg). Meine Ärztin meinte aber auch zu mir, dass die 2x 0,5 mg eher eine homöopathische Dosis sei. Dadurch entstand dann die Idee erst einmal 1x 0,5 mg morgens schrittweise wegzulassen. Als dies geschafft war, wurde dann die abendliche Dosis schrittweise weggelassen. Dafür ist dann auch 1 Jahr vergangen.

4.) Was können Angehörige tun, was müssen sie lassen?

Für mich ist es nach wie vor wichtig, dass meine Angehörigen mich ernst nehmen in meinen Äußerungen, auch wenn diese kritisch gegenüber meinen Angehörigen sind und nicht auf meine Diagnose reduzieren. Weiterhin ist es für mich wichtig, dass sie sich mir gegenüber ebenso objektiv kritisch äußern bei Vorhaben, die ich umsetzen möchte. Wenn sie sich allerdings thematisch mit meinem Vorhaben nicht auskennen entweder darüber schlau machen oder sich eher mit negativen Äußerungen zurückhalten und Mut machen sich der Herausforderung zu stellen. Ebenso wichtig ist es jeglichen Druck zu vermeiden. Sollte der Betroffene Aufgaben zu erledigen haben, bei denen es ihm schwer fällt, diese zu erledigen, dann auch gern Unterstützung anbieten, damit der Betroffene nicht allein mit der Erledigung der Aufgaben dasteht. Teamplay ist in dem Zusammenhang aus meiner Perspektive sehr wichtig.

Seit Frühjahr 2016 lebe ich komplett ohne Psychopharmaka. Worauf beim gesamten Absetzprozess zu achten ist (aus meiner Perspektive), sind Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems. Aber auch Veränderungen anderer Organe. Denn bei mir kam durch den Absetzprozess mein altes Problem mit zu hohem Blutdruck wieder durch. Dies endete bei mir auf der Intensivstation mit Implantierung von insgesamt 4 Stents und einem ICD (Invertem Cardio-Defibrillator) und einer bleibenden Herleistungsschwäche (Herzinsuffizienz), von anfangs 20 % Herzleistung, einer schweren Herzinsuffizienz zu mittlerweile einer mittleren bis leichten Herzinsuffizienz mit ca. 40 % Herzleistung.

Berlin, den 31.05.2018